Man kann es ja mal versuchen, dachte sich Silke Wellmeier 2018 und startete ihre Recherche zum Thema Bürgerradwege. Dass es nicht nur beim Versuch geblieben ist, bezeugt jetzt ein brandneuer Radweg an der Brochterbecker Straße (L 591) zwischen Brochterbeck und Dörenthe. Rund 3,8 km ist er lang, der Weg für den sie – und ihre Mitstreiterinnen und Mitstreiter – Verantwortung übernommen, viele Gespräche geführt und einen nicht zu vernachlässigenden Teil ihrer Freizeit investiert haben. So ist aus der guten Zusammenarbeit des Vereins mit der Stadt Ibbenbüren, Straßen.NRW, Baufirma Diekmann und nicht zuletzt den Anliegern der Route, ein Radweg entstanden, der die Region noch weiter voranbringt. NRW-Ministerpräsident Hendrik Wüst war 2021, noch als Verkehrsminister vor Ort, um sich mit der damaligen Bundesbildungsministerin Anja Karliczek aus Brochterbeck vom Vorgang der Arbeiten an diesem Vorzeigeprojekt zu überzeugen. Der Bürgerradweg verläuft auf der Nordseite der Brochterbecker Straße vom Kreisverkehr in Brochterbeck bis zur Münsterstraße in Dörenthe. Für die Umsetzung gab es vorab Zusagen vom Land NRW, vom Kreis Steinfurt und auch aus Ibbenbüren und Tecklenburg über insgesamt 135 000 Euro pro Kilometer. Die Realisierung des Projekts erfolgte auf Betreiben des für diesen Zweck gegründeten Vereins Bürgerradweg Brochterbeck-Dörenthe e. V.
Wie stemmt man so ein Projekt aus Eigeninitiative?
Ein Gespräch mit Silke Wellmeier und Ulrike Sackarndt, Vorsitzende Bürgerradweg Brochterbeck-Dörenthe e. V.
Wie sind Sie auf das Fehlen der Radwegverbindung aufmerksam geworden?
Silke Wellmeier: Ich fahre viel mit dem Rad; täglich zur Arbeit und auch in meiner Freizeit oder für kleinere Besorgungen. Auf der Landstraße ist das häufig unkomfortabel bis gefährlich. Als Anwohnerin war der Radweg, beziehungsweise das Fehlen eines solchen, an der Landstraße zwischen Brochterbeck und Dörenthe sogar schon in meiner Kindheit ein Thema. Es hieß, der „kommt irgendwann“. Nach zwanzig Jahren war aber immer noch nichts passiert und ich fragte mich, woran das eigentlich liegt.
Und woran lag es?
Silke Wellmeier: Weil die Landstraße zwar die kürzeste Verbindung, aber auf dem Rad nicht ungefährlich ist, hielten viele Anwohnerinnen und Anwohner den Fahrradweg für eine gute Idee; es hatte sich aber einfach noch niemand konkret für den Bau stark gemacht. Also habe ich recherchiert, wie man so ein Vorhaben in die Wege leitet und dachte, man kann es ja mal versuchen.
Haben Sie leicht Mitstreiterinnen und Mitstreiter gefunden oder mussten Sie Überzeugungsarbeit leisten?
Silke Wellmeier: Ich komme selbst aus Brochterbeck, hatte aber noch kaum Kontakte nach Dörenthe. Also habe ich verschiedene Veranstaltungen besucht, und die Resonanz für das Thema war sehr positiv. Bei der Dörenther Interessengemeinschaft habe ich dann Ulrike Sackarndt kennengelernt und wusste gleich, dass sie die perfekte Partnerin für das Vorhaben sein würde. Ulrikes Erfahrung als Verkehrsingenieurin beim Land Niedersachsen war einfach Gold wert.
Ulrike Sackarndt: Überzeugungsarbeit musste Silke bei mir nicht leisten. Das Thema hat mich nicht nur von Berufs wegen interessiert, sondern vor allem als Anwohnerin. Ich lebe in Dörenthe quasi am anderen Ende der Strecke, und die hat als sichere Fahrradverbindung einfach immer gefehlt, deshalb war mir gleich klar, dass ich mitmachen möchte. Der Erfolg vergleichbarer Projekte in Ibbenbüren war ein Indikator für einen Bedarf in der Bevölkerung und das Gelingen des Vorhabens.
Also sind die beiden Vorsitzenden sogar je von einem Ende des Radwegs?
Ulrike Sackarndt: Ja, wir haben einen paritätischen Vorstand zusammengekriegt, mit jeder Position aus einer Gemeinde. Auch das macht unseren Bürgerradweg und die Zusammenarbeit zu etwas besonderem: Er geht sozusagen über zwei Stadtgrenzen.
Sie sind mit der Einstellung „Man kann es ja mal versuchen“ an die Sache herangegangen. Wie ging es von da aus weiter?
Silke Wellmeier: Diese Einstellung hat sich eigentlich nicht verändert. Wir wussten, dass der wichtigste Schritt sein wird, alle 23 Eigentümer entlang des Weges ins Boot zu holen. In dieser Phase hätten wir immer bereit sein müssen, das Vorhaben abzubrechen, falls jemand nicht einverstanden gewesen wäre.
Ulrike Sackarndt: Der Vorteil einer Bürgerinitiative ist ja, dass man sich untereinander über ein paar Ecken oft schon kennt. Ich wusste zum Beispiel, dass Martin Lindmeier aus der Nachbarschaft fit in rechtlichen Sachen und Grundbuchbelangen ist und fragte seine Unterstützung an. Einer von uns Dreien war dann immer bekannt mit dem jeweiligen Eigentümer. Persönliche Gespräche waren das A und O, um im Vorfeld erstmal die grundsätzliche Bereitschaft abzuklären.
Silke Wellmeier: Wir haben uns Expertise geholt, wo wir sie brauchten, und einfach einen Schritt nach dem anderen gemacht.
Wie gestaltete sich die Zusammenarbeit mit den verschiedenen Akteuren?
Silke Wellmeier: Wir sind bei der Stadt sofort auf offene Ohren gestoßen und wurden gut unterstützt. Zum Beispiel sind die Pläne vom Fachdienst Straßenbau der Stadt Ibbenbüren erstellt worden, so dass wir dafür kein Büro finden mussten.
Ulrike Sackarndt: Unsere Eigenleistung bestand zum größten Teil darin, die Leute mitzunehmen, das Projekt zu planen und die Grunderwerbsverträge zu verhandeln. Mit der Finanzierung wären wir ohne die kommunalen und regionalen Fördermittel nicht weit gekommen. Der Großteil der Kosten wurden über verschiedene Fördergelder vom Land NRW, dem Kreis Steinfurt und den beiden Kommunen Tecklenburg und Ibbenbüren gedeckt. Die Investitionen in den Radverkehr, beziehungsweise das Bürgerradwege-Projekt, machen solche Projekte überhaupt erst möglich.
Gab es unvorhergesehene Herausforderungen, denen man gerecht werden musste?
Ulrike Sackarndt: Unvorhergesehen zwar nicht, aber der Radweg liegt im Wasserschutzgebiet, da kann man beispielsweise keinen normalen Schotter verwenden, sondern muss kostenintensiveren Sandsteinschotter verbauen. Die Baufirma konnten wir dank des Modellprojekts ohne Ausschreibung selbst auswählen. Auch das hat eine Rolle gespielt, da DIECKMANN Bauen + Umwelt GmbH & Co.KG uns sehr unterstützt und auch eigene Ressourcen eingebracht hat.
Silke Wellmeier: Corona hat natürlich die Öffentlichkeitsarbeit eingeschränkt. Einige Veranstaltungen mussten ausfallen oder digital stattfinden. Das war natürlich schade, hat uns aber nicht aufgehalten.
Drei Jahre später ist der Bürgerradweg fertig. Eine lange Zeit?
Silke Wellmeier: Ich finde das nicht allzu lang. Auch aus Sicht von Straßen.nrw, die schon an vielen solcher Projekte beteiligt waren, ging es vergleichsweise schnell.
Ulrike Sackarndt: Auch aus planerischer Sicht: Wir wollten 2021 bauen, haben aber fast selbst nicht damit gerechnet, dass wir tatsächlich so schnell sein würden.
Was würden Sie heute Menschen raten, die am Anfang eines solchen Vorhabens stehen?
Ulrike Sackarndt: Alleine geht es nicht, die Grundvoraussetzung sind Gleichgesinnte. Man muss Leute finden und Kompetenzen bündeln.
Silke Wellmeier: Deshalb muss man sich überlegen, wo man viele Leute trifft und dort das Gespräch suchen. Hat man erstmal einen festen Kern von Menschen für das Projekt gewonnen, wird es durch die gegenseitige Unterstützung leichter.
Sehen Sie in Ibbenbüren und der Region noch weiteres Potenzial für den Radwegeausbau und haben vielleicht schon ein neues Projekt auf dem Radar?
Ulrike Sackarndt: Wir werden vor allem von Bekannten immer wieder mal angesprochen und gefragt, ob wir uns nicht für diesen oder jeden Radwegausbau einsetzen könnten. Nach drei Jahren intensivem Zeitaufwand ist jetzt erstmal Schluss für uns, aber selbstverständlich geben wir unsere Erfahrungen und unser Wissen gerne an Andere weiter.
Silke Wellmeier: Ja, Freunde und Bekannte hätten jetzt natürlich gerne, dass man als Expertin auf dem Gebiet gleich das nächste Projekt anschiebt, aber man darf den zeitlichen Aufwand nicht unterschätzen. Dazu muss man auch bereit sein. Wir konzentrieren uns jetzt erstmal auf andere Dinge. Schließlich sind wir beide in unserer Freizeit auch anderweitig noch ehrenamtlich beschäftigt.
Bleibt nur noch zu fragen, wann der Radweg eröffnet wird.
Ulrike Sackarndt: Einen genauen Termin für die Eröffnungsfeier können wir noch nicht nennen, weil auch nach dem Asphalteinbau noch kleinere Arbeiten, wie zum Beispiel Bepflanzung als landschaftspflegerischer Ausgleich, Markierungen etc. anstehen.
Silke Wellmeier: Da der Spatenstich leider Corona zum Opfer gefallen ist, wollen wir das Feiern natürlich bei der Freigabe des Weges nachholen. Sicher ist also auf jeden Fall schon mal, dass gefeiert wird!
Was sind Bürgerradwege?
Das Landesverkehrsministerium hat 2005 das Modellprojekt „Bürgerradwege“ ins Leben gerufen. Mit ihm können Radwege- Projekte schneller und unbürokratisch realisiert werden, sofern sich engagierte Bürgerinnen und Bürger der Sache annehmen. Planung und Umsetzung erfolgen durch einen jeweils zu diesem Zweck gegründeten Bürgerverein gemeinsam mit lokalen Bauunternehmen in Kooperation mit den beteiligten Kreisen und Kommunen. Straßen.NRW berät und beteiligt sich an den Kosten. Über 370 Kilometer dieser Bürgerradwege sind in den vergangenen Jahren bereits entstanden. Ibbenbüren ist Vorreiter bei Bürgerradwegen in NRW und der Region.